Matthias' Rede zum 25-jährigen Abiturjubiläum der 78er am 21.06.2003

Liebe 25-Ender, liebe ehemalige Tutorinnen und Tutoren - Ladies and Gentlemen:

Ich fasse mich kurz, das gelobe ich. - Zunächst ein Stück aus dem Stern der letzten Woche, den ich am letzten Sonntag auf dem Bahnhof in Odense, der dänischen Hauptstadt der großen Insel Fünen, gekauft habe - wie einige wissen, pendele ich zwischen Odense und Göttingen hin und her. Dort las ich nun ungläubig wie immer, doch diesmal aus anderem Grund, das Horoskop für mein Sternzeichen, ein bißchen Aberglauben und New Age, das ich mir manchmal gönne, auch als alter und leicht resignierter Anhänger unserer nie vollendeten Aufklärung. Da steht wortwörtlich für die Woche bis einschließlich Samstag, den 21. Juni - und ich lüge nicht, so wahr ich hier stehe: "Stier: Der Zahn der Zeit nagt und nagt. Der Kreis der Ehemaligen wird immer kleiner. Umso mehr zählt die Teilnahme am Wiedersehen." Na also, dachte ich, denn man to.

Ein paar Wochen zuvor dümpelte ich im Pool des IFLs in Göttingen vor mich hin und überlegte, was ich wie sagen sollte, vor euch, vor Ihnen. Und da fiel mir ein Refrain eines Ohrwurms aus den frühen Achtzigern ein, als die Neue Deutsche Welle leicht debil, aber harmlos und nicht ungefällig über das Land schwappte: "Hurra, hurra, die Schule brennt." Übrigens muss ich dabei immer auch an einen anderen Ohrwurm von Ina Deter denken: "Ich schreib's an jede Wand - neue Männer braucht das Land" - auf die erste Hälfte der Verszeile reagierte der NDR damals mit einer Anzeige wegen Anstiftung zur Sachbeschädigung ...

Jedenfalls fragte ich mich, ob ich das je gedacht, mir das je gewünscht hatte: daß das Neue Gymnasium, später Theodor-Heuss-Gymnasium, abbrennen möge. Und ich kann reinen Gewissens sagen, nein, nein, und nochmals nein. Das sicher auch deshalb, weil mir die Schule nicht allzu schwer fiel und ich mit den meisten Lehrern gut auskam. Aber auch, weil ich damals vielleicht schon ahnte, ohne zu wissen, dass ich es ahnte, was nun im Rückblick klarer wird: Daß nämlich die Schulzeit, wenn auch nicht notwendigerweise die schönste, so doch die verantwortungsfreieste Zeit in meinem Leben war und ganz sicher die mit der meisten freien Zeit - ein Gut, dessen Wert mir immer klarer wird, je weiter es entschwindet. Non scholae sed vitae discimus und so weiter - mein Latein, dank Herrn Klesse und vor allem Herrn Buhrke schon vor der Uni nicht allzu schlecht, sagt mir, daß in dem alten alten Sprichwort etwas vom FürdasLebenlernen steckt, das sich rückblickend in mancher Hinsicht als barer Unsinn erweist: In der Schule haben wir nämlich auch gelernt, Zeit zu haben, Spaß zu haben, Streiche zu spielen (einige werden heute sicher Gesprächsthema sein - ich sage für meine Klasse nur: Yogis Plumpsspiel im Sommer ...), und wir haben erst später erfahren, daß verglichen mit Studium und / oder Beruf wir nie wieder so frei gewesen sein dürften wie damals, frei von Korsetten aller Art, in die uns nun Leben, Liebe und labor zwingen (ihr seht schon, wie ich auch noch den letzten Krumen Latein zusammenklaube, nur um die Alliteration zu retten).

In diesen Tagen ist in Deutschland andauernd von "Zukunft" die Rede. Deutschland müsse zukunftsfähig werden oder habe die Zukunft schon verpaßt oder müsse die Zukunft jetzt sichern, und so weiter und so fort ad nauseam. Wir wollen und werden wohl heute weder von der Zukunft noch allzu viel von der Gegenwart reden, sondern in die Vergangenheit abtauchen. Viele Sätze dürften mit "weißt du noch" anfangen, und das ist gut so. Ab und zu soll und darf man sich erinnern, und das kann schön sein, ein bißchen wie im Auf- und Abspann des Nazifilms Die Feuerzangenbowle, als Heinz Rühmann mit den anderen alten Herrn bei Hochprozentigem sitzt. "Und damit wollen wir uns bescheiden", heißt es am Schluß wehmütig über die Erinnerungen an Jugend und Schule.

Wehmut kommt heute hoffentlich nicht allzu oft auf, doch laßt mich an dieser Stelle abschließend auch an diejenigen erinnern, die nicht hier sein können, weil sie nicht mehr am Leben sind: Johanna Geisler, Heike Tobien, Bernd-Ulrich "Bum" Meyer, Klaus Merx, Friedrich "Fitti" Rauschning und Edgar Schoppmann. Sicher leben auch einige Lehrer von damals nicht mehr, doch da ich diese nie vollständig zusammenbekäme, darf ich mich dieser Pflicht entziehen.

Nun bleibt mir nur noch, Gunther Hedrich und vor allem Ulrich Schimke für ihre tatkräftige Unterstützung zu danken. Ich wünsche uns allen einen schönen Tag.

Matthias Jendis